Zeitungsverlage spielend verbessern – geht das?

Zeitungsverlage klagen häufig über rückläufige Auflagenzahlen und dass zu wenige Anzeigen geschaltet werden. Die Zustellung wird nicht ausreichend durchgeführt. Zudem stellt die Digitalisierung eine große Herausforderung dar. „Paid Content“ wird zunehmend ein größeres Thema um den Journalismus anstelle der Zeitungsabos zu tragen, sind aber auch noch nicht ausreichend akzeptiert.

Der Springer CEO Mathias Döpfner sagt in einem Interview mit MEEDIA, es ist ein „strukturell rückläufiges Geschäft“. Weiter sagte er, „Dem Journalismus geht es wirtschaftlich nicht besonders gut; das Printgeschäft ist rückläufig und die digitalen Angebote sind wirtschaftlich mangels ausreichender Monetarisierung noch nicht befriedigend. Das ist eine Konstellation, die ich mit Sorge betrachte.“

Zeitungsverlage

MEEDIA schreibt in einem weiteren Artikel das nur noch 43% einer Umfrage (New Storytelling) eine Zukunft der Printmedien sehen. Positiv ausgesprochen sind es aber auch noch 57% Befürworter, die Pro Zeitung Meinung beziehen.

Durch meine langjährige Tätigkeit in der Zeitungswelt, fühle ich mich den Zeitungsverlagen nach wie vor verbunden. Nachdem ich das Interview mit Herrn Döpfner und die Umfrage gelesen habe, musste ich darüber nachdenken, an welchen Stellen ich mit Gamification einen Mehrwert für Zeitungen und Verlage herstellen kann.

Was ist Gamification

Zuerst muss die Frage beantwortet werden, was Gamification eigentlich ist. Genauer genommen muss beantwortet werden, was Spielen ist.

Johan Huizinga, niederländischer Kulturhistoriker schreibt 1938 in seinem Buch „Homo Ludens“ folgendes:

„Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die 
innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach 
freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet 
wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl 
der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des „Andersseins“ als das 
gewöhnliche Leben.“

Etwas wissenschaftlicher dagegen hält es Jane McGonigal vom „Institut for the Future“ aus Kalifornien in ihrem Buch „Reality is broken“. Sie definierte vier klare Regeln, die ein Spiel charakterisieren:

  • Ein klares Ziel, das es zu erreichen gilt.
  • Regeln, die für das Spielerlebnis einen Rahmen an Möglichkeiten setzen.
  • Feedback, welches hilft, die Erfahrung zu machen, ob eine Handlung gut oder schlecht war.
  • Freiwilligkeit, also dass niemand gezwungen wird, an einem Spiel teilzunehmen.

Beide sind sich darin einig, was ein Spiel charakterisiert. Spiel ist keine neumodische Erfindung. Spiel ist tief im Menschen verwurzelt. Man lernt spielerisch soziale Kompetenzen bereits im Babyalter. Aber nicht nur im Babyalter, auch im Kindes- bis zum Erwachsenenalter. Attribute wie Fairness, verlieren können, Regeln befolgen, taktieren und sogar verhandeln. Spiel kennt keine Altersgrenze und keine kulturellen Grenzen. Spiele sind eine internationale Sprache, die fast jeder spricht. Massen können durch Spiele bewegt werden. Denken wir einmal an den Super Bowl und die Fußball-Weltmeisterschaft. Milliarden Menschen sehen sich diese Großereignisse an, ohne dass sie direkt am eigentlichen Spiel beteiligt sind.

Gamification bedeutet nüchtern betrachtet laut Definition nichts anderes als die Anwendung von Spieledesignprinzipien, Spieledesigndenken und Spielemechaniken auf spielfremde Anwendungen und Prozesse.

Ein prominentes Beispiel für Gamification ist eine Stockholmer U-Bahn Treppe. Stellen Sie sich eine Treppe mit neben liegender Rolltreppe vor. Die Treppenstufen wurden in einer Werbeaktion von Volkswagen in den Farben von Klaviertasten gemalt. Weiterhin wurde jede Stufe mit einer Automatik versehen, die bei Berührung den entsprechenden Ton ausgibt. Nachdem das Klavier fertiggestellt wurde, nutzten mehr Menschen die Treppe als noch vor der Umgestaltung.

Stockholm

Zeitung verteilen bei Wind und Wetter

In meiner Jugend habe ich Zeitungen verteilt, um mein Taschengeld aufzubessern. Ich kann mich noch daran erinnern wie demotivierend es sein konnte, trotz der Entlohnung. Alle Anderen in meinem Alter hatten die Zeit nach den Hausaufgaben zur freien Verfügung. Und egal welches Wetter Petrus uns Mittwochnachmittag geboten hat, ich musste raus und sämtliche Haushalte in meinem Verteilungsgebiet mit frisch gedruckten Zeitungen versorgen.

Paperboy

Betrachte ich meine damalige Tätigkeit von meinem heutigen Standpunkt aus, stelle ich fest, dass ich lediglich eine einzige extrinsische Motivation hatte diesen Job durchzuführen – Geld. Und davon zugegeben viel zu wenig, wenn man die Vorgärten (also der Weg von Straße zum Briefkasten) in den Wohnvierteln mit überwiegend Einfamilien-Häusern (speziell im Neusser Süden) einmal genau betrachtet. Damals hieß es Schule aus, nach Hause, kurz essen, Hausaufgaben machen, Zeitung verteilen und das war es für den Mittwoch. Dafür war das wenige Geld nicht genug Anreiz und ich hörte demotiviert auf. Vielleicht war ich auch nur zu langsam.

Die Zeitungsverlage oder Zustellerunternehmen haben im Anschluss ein Problem. Der Verteiler ist weg, es muss Ersatz her. Um den kurzfristig bereitzustellen, musste man bestimmt auch damals schon tief in die Tasche greifen. Kurzerhand ist der besser bezahlte Vertriebsangestellte selbst in den Außenbezirk gefahren und hat die Zeitung verteilt. Ersatz muss rekrutiert und ggf. angelernt und ausgestattet werden. Ganz zu schweigen vom Verwaltungsakt, der sich dadurch ergiebt.

Heute wird die Verwaltung und Logistik zum Glück durch tolle Softwarelösungen unterstützt, so dass alles schneller und mit weniger Fehlern funktioniert. Die Zeitung muss dennoch zum Briefkasten getragen werden. Der Ersatz muss durch teures Recruiting beschafft werden. Nach wie vor für wenig Geld und nur dieser einen Motivation für den Zusteller.

Intrinsische Motivation als Zauberwort

Lassen Sie uns dem Zeitungsträger gedanklich ein paar zusätzliche Motivationen an die Hand geben. Andere gamifizierte Apps wie „Nike+ Run Club“ oder „Strava“ machen es uns bereits vor. Wir tracken die gelaufene Wegstrecke per GPS. Der Zeitungsträger erhält in festgelegten Abständen Belohnungen, die ihn motivieren werden. Weiter kann ich mir einen Wettkampf vorstellen, bei dem Zeitungsboten gegeneinander um Punkte spielen. Es entsteht eine Community durch die völlig neue Dynamiken erzeugt werden. Spiele ich den Gedanken zu Ende entstehen dadurch wöchentliche Sieger. Das bedeutet wöchentlich die Chance ein Gewinner zu sein. Wir erzeugen intrinsische Motivationen, durch die Zeitungszustellung ganz anders wahrgenommen wird.

Durch solche Maßnahmen können Zeitungsboten motivierter arbeiten. Die Fluktuation kann sinken und die Zustellquote steigen.

Auflagen der Zeitungsverlage sinken

Zugegeben habe ich nicht wirklich ein Beispiel aus dem Zeitungsverlag genannt. Es ist eher aus dem Zeitungsvertrieb. Jedoch ist der Vertrieb  in gewisser Weise abhängig vom Verlag, daher halte ich es trotzdem für ein geeignetes Beispiel.  Ein weiteres Problem was die Zeitungsverlage betrifft sind sinkende Auflagenzahlen. Zugegeben gibt es hierfür nicht „das eine Problem“ das gelöst werden muss. Man müsste an vielen Stellen gleichzeitig ansetzen, um das Ganze zu verbessern. Aber auch hier fallen mir bestimmt Möglichkeiten ein, an dem wir mit Gamification ansetzen können. Ziel könnte es sein, neue Leser zu aktivieren die sich wieder für das gedruckte Medium oder den Journalismus interessieren. Die Herausforderung besteht darin, intrinsische Motivationen zu erzeugen. Wenn man zusätzlich die digitalen Medien und deren Erzeugnisse miteinschließt, sind die Möglichkeiten gleich um ein Vielfaches größer.

Fazit

Man darf natürlich solche Maßnahmen nicht als heiligen Gral und Lösung aller Probleme betrachten. Es gibt weitaus mehr zu tun, als dem Zusteller eine App zu bieten oder dem Anzeigenverkäufer eine Motivation mehr zu geben.

App

Ich bin davon überzeugt, dass man mit Gamification langfristig deutliche Verbesserungen einiger tragender Kennzahlen erfahren kann. Gamification kann ein Beschleuniger für vorhandene Prozesse und Methoden werden, wenn man es richtig anwendet und nicht als kurzfristige Lösung versteht.  Gamification ist dann mehr als ein „Spiel“ – es verändert die Unternehmenskultur und das Miteinander. Somit lautet meine Antwort auf die Frage ob man Zeitungsverlage spielend verbessern kann „ja“.

Fanden Sie meinen Beitrag interessant, würde ich mich sehr auf Ihre Meinung freuen. Diskutieren Sie mit mir gerne im persönlichen Gespräch.

1 Kommentar

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